Tony Joe White gehört zu den Künstlern, die mich schon fast vierzig Jahre musikalisch begleiten. Und jetzt sitzt er leibhaftig keine zwei Meter Luftlinie von mir entfernt auf einem mit einem Handtuch gepolsterten Stuhl, die eh fast immer geschlossenen Augen im Schatten seiner breiten Hutkrempe, eine abgewetzte Stratocaster in den Händen, einen Harphalter um den Hals. Ja, man kann es als lässig bezeichnen, wie er breitbeinig dasitzt, singt und spielt. Laid back. Hier und da wippt der rechte Fuß auf dem WahWah- Pedal, hier und da geht der Mund zur Harp und bläst ein paar Töne. Das gibt den Songs die ultimative und unverkennbare Würze. Swamp Blues vom Feinsten, exzellent abgeschmeckt, steht auf dem heutigen konzertanten Menü..
Die Stimme geht sofort unter die Haut, die Songs sind bekannt und bilden einen Querschnitt durch Mr. White’s langjähriges Repertoire. «
As the Crow Flies» ist einer der beiden Titel ganz zu Anfang, den Tony Joe White sich alleine auf seiner Gitarre begleitend spielt. Und das in einer scheinbar endlosen Maxi- Version mit ausgedehntem Gitarrenpart. Dann erst betreten seine beiden Begleitmusiker die Bühne. Der Drummer
Jeff Hale und der Keyboarder
Tyson Rogers. Einen Bassisten gibt es nicht, dessen Part übernimmt Tyson Rogers mit einem Keyboard Bassmodul. Dessen Sound ist ok, aber kann schon allein wegen der Spielweise keinen echten Bass ersetzen.
Titel wie «
Stockholm Blues», «
Even Trolls Love Rock ’n’ Roll», «
Roosevelt & Ira Lee» stehen heute Abend auf der Setlist.
Es ist keinen Augenblick langweilig. Effizientes und nuancen- und ideenreiches Gitarrenspiel und das immer auf den Punkt unter dem Motto «
Less Is More», und dazu noch die für Tony Joe White typischen Harpeinlagen. Und immer wieder diese Stimme, die wie tief aus den Sümpfen Louisianas an unsere Ohren quillt.
Der Sound ist wie stets im
Spirit of 66 gut. Der Mann am Pult hat wie immer das richtige Händchen für die richtigen Knöpfchen und Regler. Das Licht ist ziemlich abgedunkelt an diesem Abend. Das scheint Mr. White nicht zu reichen, er setzt sich mitten im Konzert noch eine Sonnenbrille auf.
Neben der Bassbegleitung spielt Tyson Rogers hauptsächlich Hammond- artige Flächensounds ein, hier und da mal ein kurzes Keyboardsolo. Jeff Hale unterlegt das Ganze mit dem nötigen rhythmischen Groove.



Mr. White gibt sich sehr wortkarg. Ansagen zu seinen Titeln erspart er sich. So geht es ohne Unterbrechung Titel für Titel durch das Programm. «
Polk Salad Annie» schließt das Set dann nach etwa 75 Minuten.
Das Spirit of 66 ist wohl ausverkauft, die Masse fordert lautstark eine Zugabe. Der Meister lässt sich lange bitten und erscheint erst nach ca. zehn Minuten wieder auf der Bühne. «
Steamy Windows» in einer ausgedehnten Fassung beendet schließlich das Konzert. Seltsamerweise gibt es jetzt nur noch wenige Zugaberufe, das Publikum scheint zu verstehen, dass Mr. White wohl keine weiteren Titel mehr spielen wird.
Und tatsächlich geht die Saalbeschallung an, das für das Konzert herab gedimmte Licht wird wieder heller, die Stagehands beginnen mit dem Abbau der Anlage.
Der Star des Abends bleibt im Backstagebereich verschwunden. Es kommt nicht wie sonst in dieser Location zum Meet and Greet mit den Künstlern, keine Autogramme werden am Merchandisingtisch geschrieben. Mr. White sitzt derweil mit einigen Bekannten zu Tisch und speist. Das berichtet Jeff Hale, der Drummer, mit dem ich ein paar Worte wechseln kann. So warte ich eine lange Zeit, bis sich Tony Joe White auf den Weg ins Hotel macht, er schreibt mir ein Autogramm auf meine (!) Visitenkarte, die ich ihm überreichen will, und brummt mir ein paar Worte ins Mikrofon. Einige andere bekommen noch ein Autogramm auf ihre soeben erstandene CD. Dann ist der Meister durch die Tür.
Fazit: Es ist ein Genuss,
Tony Joe White einmal live zu erleben. Musikalisch ist er wirklich top. Warum allerdings ab dem fünften Titel absolutes Fotografierverbot herrscht, ist mir völlig schleierhaft. Nennt man so etwas Starallüren?
Wer ihn noch nie gesehen hat, unbedingt nicht verpassen.
Text und Fotos © Tony Mentzel