„
Ich habe niemals im Schatten meines Vaters gestanden, höchstens im Schatten seiner Musik und aus diesem versuche ich heraus zu kommen.“ Diesen Satz spricht
John Lee Hooker jr. einige Stunden vor dem Konzert in dem Interview, das er mir gibt.
Und an genau diesen Satz muss ich andauernd denken und dies während des gesamten Konzertverlaufs.
Spätestens seit «
Alice’s Restaurant» wissen wir, dass Kirchen auch anders genutzt werden können als nur für Gottesdienste. Dieser neogotische Bau in Köln Nippes ist immer noch evangelische Gemeindekirche und wird weiterhin für Gottesdienste genutzt.
Und eben auch für Kulturveranstaltungen wie an diesem Abend. Im Fond des Kirchenschiffs hinten über der ins Schiff hinein gebauten Bühne hängt eine riesige Leinwand. Vor der Bühne sind 2 Kameras aufgebaut.
Das Publikum reiht sich nach und nach in die Kirchenbänke.
Gegen 20:30 Uhr betreten
Jeffrey James Horan (Gitarre),
Mike Rogers (Drums)»
George Lacson (Bass) und
Gig Anderson (Keyboards) die Bühne. Auf die Leinwand wird das Animationsvideo zu
John Lee Hooker jr.’s Titel «
The Blues Ain’t Nothing But A Pimp» projeziert. Dieses Video befindet sich übrigens auch auf seiner aktuellen CD «
All Odds Against Me» genauso wie der erste Livetitel «
The People Want A Change», zu dem
John Lee Hooker jr. dann auch die Bühne betritt.
In der Hand hält er ein drahtloses Mikrofon, das ihm größtmögliche Bewegungsfreiheit lässt.
John Lee Hooker jr. ist nach eigenen Worten ein Performer. So nutzt er die gesamte Bühnenfläche für seine Show. Er tanzt, läuft, schlendert, dreht sich, hält nur kurz inne, gestikuliert und singt dazu. Die beiden Kameras liefern ein in den Comicstyle verfremdetes Livebild auf der Leinwand.



Ich habe zwei Dinge befürchtet, die nun leider auch wahr werden:
1. Der Sound in einer Kirche ist tontechnisch gesehen sehr schwer in den Griff zu bekommen. Gegen den Hall in derartigen Räumen ist kein Kraut gewachsen. So entsteht ein ziemlich undefinierbarer Soundbrei, der dem geneigten Hörerohr leider den wahren Genuss versagt.
2. Ich kenne John Lee Hooker jr.’s aktuelle CD. Über Geschmack gibt es bekanntlich nichts zu streiten. Für meinen allerdings ist mir das Album zu R&B-, zu Funk- lastig. Außerdem für meinen Geschmack überproduziert.
Und so präsentiert sich auch die erste Hälfte des Konzerts. «
Extra Martial Affair», «
Funky Funk», «
The Blues Ain’t Nothing But A Pimp», «
One Eye Open» sind Titel der ersten Halbzeit. Ehrlich gesagt, ich leide. Vor allem als dann ein Bluesmedley folgt mit Schnipseln aus Titeln von
Howling Wolf,
Jimmy Reed und des seligen
John Lee Hooker sen. «
Got My Mojo Working» folgt in einer modern aufgepeppten Version, die mir seelischen Schmerz verursacht. Hier hat der Junior endgültig stilistisch den Schatten des Seniors verlassen.
Aber den meisten Zuhörern im Publikum gefällt’s. Der Beifall ist dem entsprechend rauschend.
Pause. Hinaus an die frische Oktoberluft. Und sich Luft machen über das soeben Gehörte.
Einige werden nicht mehr an ihre Plätze zurückkehren.
Ich bleibe tough und begebe mich wieder in die erste Reihe. Und ich werde enttäuscht. Und das insofern, dass plötzlich
Wilson Pickett’s «
Mustang Sally» an meine Ohren dringt. Und das ist gespielt und gesungen, als stände Wilson selig selbst auf der Bühne. Oups, da geht so richtig die Post ab. Der kann ja wirklich auch ganz anders! Und siehe da, das musikalische Blatt wendet sich. Und das (für mich) zum Guten. Titel wie «
High Heel Sneakers», «
Dimples» und sogar «
I’m In The Mood» folgen, sie klingen frisch, frischer denn je, aber zum Glück haben aber nicht unter der „Generalüberholung“ zu leiden, wie die Titel der ersten Runde.
Endlich auch für mich Zeit, emotional einzusteigen. So nimmt mich der John Lee Hooker jr. Zug doch noch mit über einige Stationen musikalischen Hochgenuss. «
Do Daddy» ist so eine Station. Eine Hommage an seinen Vater. «
You Talk Too Much», «
Wang Dang Doodle» und «
Boom Boom» stellen den Junior wieder ein wenig unter den musikalischen Schatten des Seniors. Er drückt diesen Titeln einen eigenen Stempel auf, das ist ja auch gut so, aber er lässt ihnen ihre Grundsubstanz. Und das ist noch besser.
Ein paar Worte noch zur Band: Die Vier geraten ob der gewaltigen Bühnenpräsenz ihres Chefs ein wenig in den Hintergrund. Aber alle verstehen ihr Handwerk, dem Gitarristen
Jeffrey James Horan hätte ich etwas mehr Raum gegönnt, doch diesen muss er sich teilen mit dem Keyboarder
Gig Anderson.
Der krönende Abschluss: Ein veritabler Boogie! Mit dem schlichten Titel «
Boogie» und der alt bekannten Textzeile «
All night long». Hier bekommt dann jeder der Musiker auch noch einen kleinen Soloteil, um sich noch einmal dem Publikum zu präsentieren. Seit einer Dreiviertelstunde sitzt kaum noch jemand auf seiner Kirchenbank. Da wird getanzt, gegroovt, was das Zeug hält. Die kreisenden Scheinwerfer erfassen immer mal wieder eine Kölschstange, auch in Kirchen eher ein ungewöhnlicher Anblick.
Die zweite Hälfte des Konzerts reißt für mich alles wieder heraus, was im ersten Teil in und vor meinen Augen den Bach hinunter ging.
Nach dem Konzert signiert
John Lee Hooker jr. seine CDs und DVDs. Er winkt mich zu sich, als ich an ihm vorbei gehe, und sagt: „
Hey Tony, thank you for coming around. Send me some of the pictures you made.“ Das werde ich tun. Sicher.
© Text und Fotos: Tony Mentzel